What Becomes/Was wird für Klavier (2009)

20′
Auftragswerk von E.C.H.O. (European Concert Hall Organisation)
UA: 13.11.2009, New York (USA), Lincoln Center, Alice Tully Hall, Starr Theater (USA) “Pictures Reframed” | Leif Ove Andsnes (Klavier), Robin Rhode (Videoanimation)


Wertfrei
Parabolic Bikes
Promenade
Scherzo – Don’t step on the Regenwurm – Schisma
Isaac
Paper Planes


Programmnotiz
Ich wusste von Anfang an, dass ich ein Stück für nicht (oder zumindest nur wenig) präpariertes Klavier schreiben musste, weil es in einem Programm ohne Pause präsentiert werden würde. Es wäre schwierig gewesen, hätten Mussorgskis Bilder einer Ausstellung auf einem Instrument gespielt werden müssen, das durch Präparationen verstimmt worden wäre.

Man könnte sagen, dass es sehr natürlich ist, für ein „natürliches” Klavier zu schreiben – ja, vielleicht, aber für mich war es das über viele Jahre nicht. Neue Dinge und Klänge zu erforschen hat manchmal auch damit zu tun, dass man sich nicht mit dem Status quo konfrontieren will und sich in einer so genannten Zukunft versteckt. In vielen meiner früheren Stücke hatte ich mich in die Präparierung des Klaviers geflüchtet – ich wollte vermeiden, den natürlichen Klavierklang zu hören, den ich nur zu gut kannte und mit dem ich vierzig Jahre lang gelebt hatte. Ich hatte es immer überaus schwierig gefunden, etwas Persönliches, vielleicht sogar Neues mit diesem Klang auszudrücken.

Aber dieses Mal musste ich das Klavier an sich verwenden und versuchen, etwas Interessantes damit zu entwickeln.

Ich begann, indem ich das Stück Parabolic Bikes komponierte, mich zum einen auf eine ältere Animation von Robin Rhode beziehend – heute werden Sie eine neue sehen, die zu dieser Musik gemacht wurde –, zum anderen auf den Jazzmusiker Lennie Tristano. Die Phrase, mit der der Satz beginnt, enthält viele Subebenen und rhythmische Modelle. Deshalb wird sie zwischen der linken und rechten Hand sehr sorgfältig aufgeteilt, mit verschiedenen Artikulationen etc…. Im Verlauf des Stückes wird diese Stimmführung noch wichtiger und offensichtlicher, das Tempo verlangsamt sich allmählich, die Stimmung wird melancholischer …

Ich fügte die Einleitung Wertfrei hinzu, eine „Flügelhorn”-Melodie. Diese erforscht mithilfe des Pedals (eine der Erfindungen, die das Klavier zum Klavier machte) Klänge IM Klavier – eine ganze Welt öffnet sich im Inneren des Instruments.

Nachdem ich diese Teile geschrieben hatte, war ich unsicher, wie ich weitermachen sollte, aber dann hörte ich Leif Ove Andsnes Mussorgskis Bilder einer Ausstellung spielen. Dieses großartige, wagemutige, präzise und radikale Stück insprierte mich außerordentlich, MEIN Instrument zu verwenden und einfach zu erfinden, zu erfinden und zu erfinden …

Sehr vereinfacht gesagt, konnte ich sehen, dass ich mit meinem ersten Teil (Wertfrei) auch eine Art von „Promenade” geschaffen hatte, und ich konnte mit einer anderen Promenade weitermachen und danach mit etwas, das ich „großes Scherzo” nenne, oder, wie Leif Ove es nannte, „teuflisches Scherzo”.

Dieser Satz ist das Herzstück des Werks. Ich wollte ein komplexes, energiegeladenes, um nicht zu sagen aggressives Stück mit konventionellen Dur-/Moll-Akkorden schreiben: Wenn ich meine eigenen Stücke betrachte, kann ich sehr deutlich eine Tendenz ausmachen, einerseits sehr ruhige, subtile tonale und andererseits sehr motorische, laute und schnelle atonale Passagen zu schreiben – und ich wollte dieses Klischee durchbrechen. Das gelang mir (und gleichzeitig auch nicht), da das „Trio” (Don’t step on the Regenwurm) natürlich eines dieser langsamen, schönen Dinge ist. Die Reprise (Schisma) fügt dem Akkordischen das Element der Linien hinzu (wie in Parabolic Bikes, aber sehr stark verändert) …. das führt dazu, dass das Stück explodieren muss.

Dieser Satz (Scherzo) wird nicht von Animationen begleitet, erweitert diese aber in gewisser Weise: Hier werden der Konflikt, das Drama und der Horror, die man erahnen kann, wenn man Robin Rhodes Animationen sieh, benannt. Ich musste dies deutlich machen, es herausschreien.

Eine weitere Promenade (Isaac, die sich auf den großen Renaissance-Komponisten bezieht) leitet zum Ende des Stückes über (Paper Planes), in dem das subtile Spiel im Inneren des Klaviers und auf der Tastatur an den Anfang erinnert…ein starker Kontrast zu den lebhaften Bildern, die auf der Leinwand vorüberziehen.

Der Titel des Stückes wurde von einem Buch A.L. Kennedys inspiriert: Was wird.

Thomas Larcher