Thomas Larcher: Naunz

Thomas Larcher: Naunz, Vier Seiten, Noodivihik, Klavierstück, Kraken, Antennen-Requiem für H.
Erich Höbarth (Violine), Thomas Demenga (Violoncello), Thomas Larcher (Klavier)
© ECM 2001 

Werke

Naunz für Klavier (1989)

Vier Seiten für Violoncello (1998)

Noodivihik für Klavier (1992)

intro
critic acid
leave your baggage unattended

Klavierstück 1986

Kraken für Violine, Violoncello und Klavier (1994–97)

I. schnell
II. langsam
III. bewegt
IV. fließend
V. schnell

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Antennen-Requiem für H. (1999)

I.
II.
III.

Der österreichische Pianist Thomas Larcher ist dem breiteren Publikum bisher vor allem durch seine internationalen Konzertauftritte und durch die mehrfach ausgezeichneten CD-Aufnahmen bekannt, die in jüngster Zeit für ECM New Series entstanden sind. Als äußerst vielseitiger Interpret und intimer Kenner des Klavier- und Kammermusikrepertoires gastiert er regelmäßig auf den Podien der Welt und wird zu internationalen Festspielen eingeladen, etwa in Salzburg, Luzern, Berlin, Wien, Graz oder Schwetzingen. Der 1963 in Innsbruck geborene Larcher gehört jedoch auch zu jener jungen Generation österreichischer Komponisten, die in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Neben seinem Klavierstudium bei Heinz Medjimorec und Elisabeth Leonskaja absolvierte Larcher in Wien auch ein Studium der Komposition bei Erich Urbanner. Seither umfasst sein kompositorisches Schaffen Solowerke, Kammermusik wie auch Orchesterwerke, die von renommierten Interpreten und Orchestern aufgeführt werden. Die vorliegende Aufnahme enthält einen fünfzehn Jahre umfassenden Querschnitt durch sein kammermusikalisches Œuvre. Die Interpreten sind Thomas Larcher selbst, der Cellist Thomas Demenga und der Geiger Erich Höbarth, beides langjährige Kammermusikpartner Larchers.

Wer die Erfahrung gemacht hat, dass berühmte Interpreten wie Artur Schnabel oder Bruno Maderna, Heinz Holliger oder Barry Guy sich auch als Komponisten von hohem Rang erweisen, den wird es nicht überraschen, Thomas Larcher, einen interpretatorisch so sensiblen wie musikästhetisch hellwachen Pianisten, ebenfalls einer solchen doppelten Berufung folgen zu sehen. Nicht nur deckt er als Interpret komponierter Programme immer wieder auch untergründige musikhistorische Bezüge auf, etwa wenn er Schönbergs frühe Klavierstücke mit späten Stücken Franz Schuberts kombiniert (ECM New Series 1667). Darüber hinaus ist auch Larchers erfolgreiche Tätigkeit als Programmgestalter zu erwähnen, die er etwa als künstlerischer Leiter des Festivals Klangspuren in Schwaz/Tirol ausübt. Hier erweist sich sowohl seine profunde Kenntnis kompositorischer Tendenzen der Gegenwart als auch sein Mut, ästhetisch neue Wege zu gehen.

Larcher gelingt es, all diese Qualitäten, das feine Gespür für individuelle Klangwelten und musikalische Traditionsbildung, die profunde Kenntnis des kompositorischen Metiers und große Abenteuerlust in seinem eigenen künstlerischen Schaffen zu verbinden. Und so erscheint es nur folgerichtig, dass er nun auch mit seinen Kompositionen im Katalog von ECM vertreten ist. Seiner Vielseitigkeit als Interpret entspricht ein Komponieren jenseits aller Dogmen. Nachdem die Versessenheit auf einzig gültige kompositorische Entwicklungen längst der Vergangenheit angehört und sich das Bild der jüngsten Musikgeschichte stark ausdifferenziert hat, bietet sich für Komponisten heute eine Fülle möglicher kompositorischer Bezugspunkte.

Auch Thomas Larcher schöpft aus diesem Reichtum oder besser: partizipiert an ihm. Denn kompositionstechnische wie stilistische Anleihen werden immer in seine höchst charakteristische Klangsprache integriert. So erlauben seine Werke bei aller Unverwechselbarkeit auch Assoziationen an mannigfaltige Positionen der Musikgeschichte, etwa in „Naunz“ (1989) oder „Noodivihik“ (1992), beide für Klavier, durch das bestimmte Klänge und Wendungen der russischen Klaviermusik von Mussorgsky bis Mossolov, aber auch der amerikanischen von Cages Zufallsmusik über Crumb bis hin zu Jazzimprovisationen zu geistern scheinen. Oder das frühe Klavierstück von 1986, das mitunter an Bach’sche Polyphonie, die Grübeleien des späten Liszt und die Expressivität des frühen Rihm gemahnt. Ganz anders wiederum im „Antennen-Requiem für H.“ (1999) für Klavier, das in seiner radikalen Beschränkung auf denaturierte Klänge aus dem Klavierinnenraum zwar an Henry Cowell oder Helmut Lachenmann denken lässt, jedoch in bisher ungehörte, geradezu verblüffende Klang- und Geräuschwelten vordringt.

„Larchers Musik ist durchsättigt von den Errungenschaften der abendländischen Tradition, die in der Zweiten Wiener Schule und ihren Nachfolgeerscheinungen kulminierte. Zugleich reagiert Larcher aber auch beweglich auf neuere Anregungen aus Amerika und Osteuropa, auf Klang- und Bewegungsmuster der minimal music, auf die osmotisch hellhörige Schreibweise Morton Feldmans, auf die anarchische Ästhetik John Cages, auf meditative und spontan expressive Impulse russischer Komponisten. Es entstehen bei ihm musikalische Strukturen von äußerster Vielgestaltigkeit und Variabilität.“ (Hans-Klaus Jungheinrich)

Rekapituliert man vor dem inneren Ohr den musikalischen Verlauf von Larchers Kompositionen, manifestiert sich in der Regel jeweils eine klar umrissene „Topographie“ der Stücke. Diese formale Klarheit geht einher mit einer großen Direktheit der klangsprachlichen Mittel. Auf diese Weise entfaltet sich im formal ungewöhnlichen fünfsätzigen Trio „Kraken“ für Violine, Violoncello und Klavier (1994/97) eine mitreißende Dramatik, die das Stück schließlich in die Katastrophe, in völlige klangliche Disparatheit treibt. Im Violoncello-Solo „Vier Seiten“ (1998) ist die Welt bereits zu Beginn aus den Fugen: Hier kippt das katastrophische Geschehen unvermittelt um in einen ausgedehnten, elegischen Abgesang, der in völliger Erstarrung endet.

„Vielleicht ist es nur die Gefahr, die – jenseits akademischer Saturiertheit, kulinarischen Stumpfsinns – Künstler kreativ macht. Es erfordert Mut, eine Note aufs Papier zu setzen, gar eine zweite, dritte, tausendste“ (Hans-Klaus Jungheinrich). Mit seiner Musik erweist sich Thomas Larcher als einer jener Künstler, die nicht nur diesen Mut immer wieder aufbringen, sondern auch zu einem hohen Niveau kompositorischer Qualität und einer unverwechselbaren künstlerischen Physiognomie gefunden haben.

zitiert nach: www.ecmrecords.com

Naunz: Besprechungen