Thomas Larcher: IXXU, ECM 2006

Ulrich Schreiber: Momente der Stille
Schrecklich schön: Thomas Larchers neueste Werke

Thomas Larcher, 1963 in Innsbruck geboren, ist nicht nur ein glänzender Pianist, er wird auch als Leiter des von ihm 1994 gegründeten Tiroler Festivals „Klangspuren“ geschätzt. Als Komponist profitiert er von der Gnade seiner späten Geburt. In der Postmoderne großgeworden, brauchte er sich mit den gesetzgeberischen Tabulaturen des zwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr herumzuschlagen. Diese Freiheit führte bei der ersten ihm von ECM gewidmeten Compact Disc, vor sechs Jahren unter dem Titel „Naunz“ erschienen und klavierdominierten Stücken aus den Jahren 1986 bis 1999 vorbehalten, zu gemischten Eindrücken. Steigerungen wie ihn „Kraken“ standen, etwa im titelgebenden Stück, vergleichsweise unverbindliche Bewegungsabläufe im Stil einer neuen Einfachheit gegenüber.

Auf seiner zweiten Platte, nach dem Streichquartett mit dem rätselhaften Titel „IXXU“ genannt, die es solche Qualitätsunterschiede nicht. Larcher beweist in seinen zwischen 1990 und 2004 entstandenen Kammermusikkompositionen einen ausgeprägten Personalstil, der sich durch dichte Satztechnik auszeichnet. Sie erzwingt Spannungskurven, die zwischen obsessiv, laut und schnell wiederholten Einzeltönen und Akkorden sowie lange ausgehaltenen und leisen Klangflächen genau austariert sind. Die Momente von Stille, in die auch tonale, meist mollgefärbte Passagen eingeblendet werden, gewinnen in dieser Dramaturgie eine soghafte, dem Hörer sich direkt mitteilende Kraft.

Das gilt nicht nur für die beiden Quartette „IXXU“ und „Cold Farmer“, die – vom Rosamunde-Quartett bei optimaler Aufnahmequalität mit größter Intensität interpretiert – keine experimentellen Spieltechniken erfordern, die traditionellen aber in gewagte Zuspitzung treiben. Auch das Duo für Violoncello und Klavier „Mumien“ zeigt ähnliche Stilmomente. Selten dürften musikalische Mumien so erregt miteinander (und dem Publikum) kommuniziert haben wie hier in den ersten zwei der drei Sätze.

Der Cellist Thomas Demenga und der Komponist als Pianist vermeiden jeden Eindruck einer Genrehaftigkeit. Das gilt erst recht für den kleinen Gesangszyklus „My Illness Is the Medicine I Need“, gesetzt für hohen Sopran und Klaviertrio. Es handelt sich textlich um sechs Satzfragmente aus Gesprächen mit Psychiatriepatienten, in einer der berüchtigten Nummern des Benetton-Magazins „Colors“ abgedruckt. Das musikalische Spektrum reicht von einer seraphisch in höchsten Lagen entschwindenden Todessehnsucht mit der in variiert fallender Linie komplementären Aussicht auf ewige Ruhe bis hin zu nadelspitzscharfen Intervallsprüngen, die das Ende jeder sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit durch Injektionen beschwören.

Die jeweils auf den Punkt gebrachte Ausdrucksschärfung, zu der die Sopranistin Andrea Lauren Brown, der Geiger Christoph Poppen, der Cellist Thomas Demenga und der Komponist am Klavier vordringen, ist eine atemraubende Gratwanderung: Krankheit als Therapeutikum oder das Schreckliche als des Schönen Anfang.

zitiert nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Februar 2007

Thomas Larcher has a way of convincing you, like Morton Feldman, that every note is in its right place and should be nowhere else. A delicate touch and taut use of dramatic contrast flicker across his compositions, sending out shards of notes and icy silences.

aus: Andi Spicer, Gramophone, Dezember 2006

Thomas Larcher is a new name to me, but then, there are so many names yet to be discovered by all of us. I am glad I have been given the chance to listen to this. Having recently taken the plunge and bought a new old car, I now have a new new CD radio player to go with it. Listening to this while stopped at the lights, window rolled down in the unseasonably warm october weather, turned more heads at the tram stop than any booming heavy disco!

„Ixxu” is in a thoroughly modern idiom, but with moments of shimmering beauty and an overall rhythmic energy which is quite compulsive, there are all the ingredients one needs to make an interesting piece all the more rewarding on repeated hearing. … In his pieces, notions of virtuosity are pursued to the limits, raising the expressive energy another notch in degree and intensity. In „Mumien” this obsessive quality comes through in the intense and rhythmically incessant second movement.
“Cold Farmer” was “like stepping into the unknown and the threatening” for the composer … There are some folk-like elements in the violin, some Shostakovich-like moments of repose, the stability of pedal notes and ostinati, sometimes transparently expressive melodic lines, and all of the emotional swings and roundabouts that you would want from a good string quartet … The music is expressive but uncompromising, filled with gritty passion and unfulfilled longings.
Against all preconceptions and expectations I have enjoyed this well-recorded CD from ECM immensely, and recommend it wholeheartedly.

aus: Dominy Clemens, Music Web, November 2006

Seine Inspirationsquellen sind oft ungewöhnlich. In einem Benetton-Magazin fand er zum Beispiel Reportagen über psychiatrische Kliniken, die ihn zu „My Illness Ist he Medicine I Need“ anregten. Ohne Voyeurismus und Effekthascherei hat der österreichische Pianist und Komponist Thomas Larcher diese Texte zu einem Zyklus für Sopran, Violine, Cello und Klavier umgesetzt. Dieser zarten Musik ist ihr eigenständiger Ausdruck wichtiger als eine avantgardistische Kompositionstechnik. Das wird auch in den Streichquartetten „Cold Farmer“ und vor allem „Ixxu“ deutlich, die das Rosamunde-Quartett nun eingespielt hat. Diese Eigenständigkeit wirkt jedoch nie ichbezogen, sondern befreit sich von Äußerlichkeit, um zum Kern der Aussage vorzudringen. So begegnet man auf dieser CD unverstellt hingesetzten Anklängen an andere Klangidiome. Gerade diese Ehrlichkeit ist Ohren- und Gedankenöffner, sie bringt verloren geglaubte Klangmittel wieder zum Tragen. Und die „Mumien“, die Larcher mit seinem Duo-Partner, dem Berner Cellisten Thomas Demenga, spielt, klingen überhaupt nicht einbalsamiert.

aus: my: Ehrlichkeit, Tages-Anzeiger, 22.11.2006

The text of Thomas Larcher’s song cycle „My llness is the Medicine I Need“ comes from a Benetton magazine article about psychiatric patients. The icy clarity of the soprano Andrea Lauren Brown’s tone is impressive and disturbing, especially in the high leaps and strange melismas that make enunciation difficult. The accompaniment is partly “prepared”, the composer himself at the eerie padded keyboard. The terse, pithy, arresting directness of the music persists through the two string quartets Ixxu and Cold Farmer, which, played by the Rosamunde Quartet, are bracingly energetic, highly rhythmic even when slow and clearly the product of a feverishly inventive mind.

aus: Rick Jones: Thomas Larcher: IXXU, The Times, 25.11.2006